Regelmäßig treten dabei Fragen auf:
Wie realistisch ist der Messaufbau, werden die angeschlossenen Messgeräte gestört oder gar beschädigt, werden sich die getroffenen Gegenmaßnahmen in der Praxis als ebenso wirksam erweisen wie im Versuch?
Bei entwicklungsbegleitenden Messungen wird zumeist das ungefähre Ergebnis einer Prüfung nach Norm angestrebt. Der Entwickler versucht, das bei der Prüfung nach Norm aufgetretene Fehlerbild zu reproduzieren. Dabei hält er sich soweit wie möglich an den normgerechten Prüfaufbau. Eine effektive Fehlersuche erfordert jedoch entwicklungsbegleitende Messungen, für die sich andere Messaufbauten weit besser eignen. Nachfolgend sollen am Beispiel der Störfestigkeit verschiedene Varianten vorgestellt und ihre Besonderheiten erläutert werden.
Signale messen beim Normaufbau
Für eine effektive Entstörung ist es notwendig, das EMV-Verhalten des Prüflings zu verstehen. Neben der genauen Analyse des Fehlerbildes müssen dazu Signale im Prüfling während der Tests oszillografiert werden. Die großen Spannungsdifferenzen, die bei praxisnahem Aufbau oder Aufbau nach Norm entstehen, machen eine unmittelbare Messung mit Oszilloskop jedoch unmöglich: Die GND-Verbindung von Prüfling und Oszilloskop am Arbeitsplatz des Entwicklers führt zu gänzlich anderen Umgebungsbedingungen für den Prüfling. Aber auch Differenztastköpfe eignen sich normalerweise nicht. Ursache ist die parasitäre Kapazität dieser Tastköpfe: Bei einer eingekoppelten Burstspannung von z.B. 2kV ergibt sich nach i=C*du/dt ein Strom von beispielsweise i = 5pF * 2kV/5ns = 2A, der durch die parasitäre Kapazität des Tastkopfes zum Oszilloskop fließt. Nicht nur das Signal wird dadurch gestört – auch der Strom fließt zusätzlich zum eigentlichen Störstrom durch den Prüfling und beeinflusst dessen Verhalten.
Daher ist für solche Messungen eine Entkopplung über optische Systeme zwingend. Optische Übertragungsstrecken
- ermöglichen fehlerfreie Signalübertragung zur Beobachtung des Prüflings
- verhindern eine Beeinflussung des Messgerätes (Oszilloskop)
- gestatten Messungen ohne störende Einflüsse durch zusätzliche Kabel
- ermöglichen Messungen über Potentialunterschiede hinweg (Messung auf 230V, bei Hochspannung, potentialfrei)
Alternative entwicklungsbegleitende Messaufbauten zur Störfestigkeitsmessung
Ausgangspunkt
Eine tiefergehende Analyse der Fehlerursache ist, wie oben dargestellt, ist mit dem genormten Messaufbau kaum möglich bzw. nicht effektiv. Daher sollten immer an das jeweilige Problem angepasste Aufbauten genutzt werden, um in Abhängigkeit vom Prüfling (Größe, Kabelanzahl, Gehäusematerial) und von der Störgröße (HF, Burst, ESD) sowohl reproduzierbar einkoppeln als auch fehlerfrei messen zu können.
Ein entscheidendes Kriterium für den Messaufbau ist, genau den gesuchten Funktionsfehler im Prüfling hervorzurufen. Dazu muss gegebenenfalls der Messaufbau mehrfach optimiert werden. Oft entdeckt der Entwickler dabei neue Fehlerbilder, die beim Normtest nicht auftraten. Diese sind zunächst nicht relevant. Natürlich ist in jedem Fall zu prüfen, ob beim Anwender des Produktes diese Fehler auftreten könnten und durch entsprechende Verbesserungen die Zuverlässigkeit des Produktes erhöht werden kann.
Aufbau eines zusätzlichen Massesystems
Als Basis für den Messaufbau wird eine zusätzliche große Metallfläche eingeführt, die größer ist als der Prüfling selbst und als Massefläche genutzt wird (Abbildung 3).
Diese Massefläche ermöglicht folgenden Aufbau:
Der Masseanschluss des ESD-Generators wird an die Fläche angeschlossen. Ebenso sind alle an den Prüfling angeschlossenen Kabel unmittelbar am Prüfling mit der Massefläche verbunden. Optimal wäre hier eine galvanische Verbindung. Praktisch ist das jedoch nur in wenigen Fällen möglich. Meist können die Kabel ersatzweise nur kapazitiv verbunden werden. Das Fixieren der Kabel über eine längere Strecke mit Klebeband auf der Metallplatte ist normalerweise ausreichend.
Die Störwirkung des ESD-Generators in Bild 3 konzentriert sich durch diesen Aufbau auf den kleinen Bereich des Prüflings und seine unmittelbare Umgebung. Geräte in der Nähe des Messplatzes werden deutlich weniger gestört. Gleichzeitig wird der Einfluss von Kabellage und -länge reduziert. Möglicherweise wird das Oszilloskop trotzdem noch beeinflusst.
Abhilfe schafft hier ein Schirmzelt. Es besteht aus leitfähigem Gewebe über einer Grundplatte aus Edelstahl. Für Stromversorgung, USB-Anschluss und ggf. weitere Signale sind gefilterte Durchführungen in der Grundplatte integriert. Im Idealfall wird das Oszilloskop über z.B. USB per Software gesteuert. Dies gestattet eine vollständige Schirmung durch das komplette Schließen des Schirmzeltes (auch von der Vorderseite) und eine damit perfekte Messung.
Potentialfreie Einkopplung über Trafo
Ähnliche Probleme treten auch bei Burst-Tests auf. Hierbei hat man jedoch weitere Möglichkeiten, die Störimpulse in den Prüfling einzukoppeln:
Neben einer Netznachbildung oder einer kapazitiven Koppelzange stehen auch Bursttransformatoren zur Verfügung, mit denen eine potentialfreie Einkopplung möglich ist (Bursttransformator PT4, Abbildung 4). In Kombination mit einer Metallfläche ergibt sich folgende Situation:
Der Burstgenerator erzeugt eine Ausgangsspannung bezogen auf sein Gehäuse (Ground) und speist damit den Bursttransformator PT4. Dessen Ausgang ist symmetrisch und potentialfrei. Damit kann ein Störstrom durch den Prüfling erzeugt werden, ohne dass ein Rückstrom zum Burstgenerator fließt. Durch einen großen Abstand zwischen Burstgenerator und Bursttransformator werden parasitäre Kapazitäten verringert und die Wirksamkeit der galvanischen Trennung verbessert. Je nach Wahl der Anschlusspunkte im Prüfling werden verschiedene Bereiche des Prüflings – z.B. gezielt ausgesuchte Leiterkarten, Filter oder auch Steckverbinder – mit Störstrom beaufschlagt und das Fehlerbild beobachtet.
Wird die zusätzliche Metallfläche mit der Stromversorgung des Prüflings, dem Ground eines Oszilloskops bzw. dem Ground weiterer angeschlossener Geräte verbunden, werden Spannungsdifferenzen zwischen diesen Geräten stark verringert. Jetzt ist es in vielen Fällen möglich, mit normalen Tastköpfen zu arbeiten und Signale des Prüflings direkt zu oszillografieren.
Lokale Einkopplung über Feldquellen
Eine weitere Möglichkeit zur Fehleranalyse bieten Feldquellen. Mit deren Hilfe können lokal in sehr kleine Bereiche des Prüflings magnetische oder elektrische Felder eingekoppelt werden. Durch systematische Untersuchung des Prüflings lässt sich sehr schnell erkennen, welche Schaltungsteile – oftmals sogar welche Signalleitung - welche Funktionsfehler verursachen können. Daneben gibt die Art der verwendeten Feldquelle Hinweise auf Gegenmaßnahmen: Wird der kritische Fehler durch elektrische Felder hervorgerufen, werden hochohmige Schaltungsteile beeinflusst, bei Magnetfeldern reagieren Leitungen mit niederohmigem Treiber. Für eine Bewertung von Gegenmaßnahmen eignet sich dieser Aufbau jedoch nur bedingt. Für quantitative Aussagen über Verbesserungen ist immer ein Aufbau nach Abbildung 2 oder Abbildung 3 vorzuziehen.
Geschirmter Messaufbau
Insbesondere bei Untersuchungen zur HF-Störfestigkeit ergibt sich ein weiteres Problem: Wird in den Prüfling HF eingekoppelt, wird er mit allen angeschlossenen Kabeln zur Sendeantenne. Die Umgebung wird oft unzulässig gestört. Hier bietet es sich an, das Schirmzelt aus Bild 3 für den Prüfling zu nutzen: eine Nahfeldsonde wird als HF-Quelle verwendet und über den Signalgenerator und Leistungsverstärker angesteuert. Der gesamte Aufbau befindet sich im Schirmzelt, die Verbindung zu Oszilloskop bzw. Laptop erfolgt durch die gefilterten Durchführungen in der Grundplatte des Schirmzeltes. Alternativ können HF-Generator und Verstärker zur leichteren Bedienung außerhalb des Schirmzeltes aufgebaut und über eine der gefilterten Durchführungen mit dem Leistungsverstärker verbunden werden.
Auch bei diesem Aufbau werden alle zum Prüfling führenden Leitungen auf kurzem Weg kapazitiv oder galvanisch mit der Grundplatte verbunden.
Bewertung der Messergebnisse
Die gemessenen absoluten Störfestigkeitswerte selbst sind aufbauabhängig und stellen somit nur Anhaltspunkte für eine vergleichende Bewertung dar. Für die endgültige Bewertung des Prüflings muss abschließend ein Aufbau nach Norm – ggf. im Prüflabor – herangezogen werden.
Durch das Vereinfachen des Versuchsaufbaus bzw. das Eingrenzen der gestörten Bereiche auf einzelne Baugruppen mit wenigen angeschlossenen Kabeln lassen sich die kritischen Schaltungsstrukturen leichter ermitteln. Modifikationen können schnell umgesetzt und bewertet werden. Dadurch können schlussendlich bei der Entwicklung von Baugruppen oder Geräten Zeit, Kosten und Nerven gespart werden.
DOWNLOAD PDF: "Wenn der Prüfling den EMV-Test nicht besteht"
(pdf, 196 kB)
Autor: Dipl. Ing. Jörg Hacker,
erschienen in Elektronikpraxis, 2014